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K U N S T
Ist Wissen von Natur aus schön?

Versuchte Nähe: Über das heikle Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Ein ZEIT-Gespräch mit Horst Bredekamp und Jochen Brüning
Seit langem gelten Kunst und Wissenschaft als feindliche Brüder, in Mißtrauen vereint, durch einen Abgrund getrennt. Die Schönheit beargwöhnt das Wissen, weil es die Welt entzaubert; das Wissen dagegen hegt den Verdacht, das Ästhetische flüchte vor den Gesetzen der Welt. Doch seit der Berliner Ausstellung "Sieben Hügel" und der Expo in Hannover mehren sich die Versuche, die getrennten Welten noch einmal zu überbrücken - mit durchaus fragwürdigem Erfolg. Auch der Mathematiker Jochen Brüning und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp suchen in ihrer - in diesen Tagen zu Ende gehenden - Ausstellung "Theatrum naturae et artis" (vgl. ZEIT Nr.51/00) nach (Wahl-)Verwandtschaften zwischen Wissenschaft und Kunst. Sie präsentieren im Berliner Gropius-Bau Schätze aus den Sammlungen der Humboldt-Universität: als ästhetische Schule des Sehens. - Ein Gespräch mit den beiden Kuratoren soll die Problematik klären, die mit der versuchten Nähe zwischen Kunst und Wissenschaft verbunden ist. Wird Wissenschaft zur Kunst verklärt? Und Kunst zur Magd der Wissenschaft?

DIE ZEIT: Wie erklären Sie sich das neue Interesse an Ausstellungen, in denen Wissenschaft und Kunst zusammengeführt werden? Bis vor kurzem waren es feindliche Brüder.

HORST BREDEKAMP: Jede kulturelle Bewegung äußert sich als Pendelschlag. Nach der Euphorie des "Immateriellen" und des so genannten Virtuellen nimmt die Wertschätzung der unverstellten Objekte zu; das Pendel schwingt zurück. Es gibt eine erneute Faszination der Wahrnehmung und ihrer Probleme, eine neue Aufmerksamkeit für die Dinge - auch für die Objekte der Technik und der Wissenschaft. Ein frühes und unerreichtes Zeichen dieses Wandels war die Ausstellung L'âme au corps in Paris bereits 1993. 

ZEIT: Warum waren die Berliner Sammlungen so gut wie unbekannt?

BREDEKAMP: Sie waren es nicht ganz, denn einzelne Wissenschaftler an Einrichtungen wie der Charité haben sich als wahre Kustoden betätigt. Aber erschreckend viel ist aus Nachlässigkeit, Desinteresse oder auch dem Vergnügen an der Zerstörung dahin. Das hat höchst unterschiedliche Gründe. Das Interesse am Systematisieren ist im letzten Jahrhundert zurückgegangen, und es kamen äußere Wirkungen wie die Zerstörungen des Weltkrieges wie auch die Mangelsituation in der DDR hinzu. Die psychologischen Effekte, sich von der Sammellast der Vätergenerationen im Sinne einer Tabula rasa zu befreien, haben schließlich mit der Wut auf das "bourgeoise Erbe" zusammengespielt; so wurden zahlreiche Gipsstatuen mutwillig zerstört und auf den Müll gekippt.

ZEIT: Sie wollen ja nicht nur historische Neugier stillen, sondern Wissenschaft wieder verstehen. Ist dies nicht eine Illusion? Ist der Graben zwischen Alltagsverstehen und der Komplexität der Naturwissenschaft überhaupt zu überbrücken?

JOCHEN BRÜNING: Viele haben das Gefühl, der wissenschaftlichen Komplexität nicht mehr gewachsen zu sein. Doch es wäre ein großer Fehler, wenn wir uns hinter der Behauptung verstecken wollten, die moderne Wissenschaft sei einfach nicht mehr zu verstehen. Wir versuchen in dieser Ausstellung, erneut Verständnis für die Wissenschaft zu wecken, im Bewusstsein dessen, dass Verstehen für jeden Menschen etwas anderes ist. Vielen ist das rein Kognitive, das Denken, zu anstrengend. Sie geben schnell auf, weil sie nicht zu Ergebnissen kommen. Aber es gibt einen emotional-ästhetischen Einstieg in das Verstehen, aus dem Interesse entspringt und ein Gefühl der Wertschätzung; wenn dies gelingt, ist schon viel gewonnen. 

ZEIT: Halten Sie es für eine Aufgabe der Kunst, den Abstraktionen der Wissenschaft Anschauung zu verleihen?

BRÜNING: Auch das, ja. Ohne Anschauung ist der Graben zwischen der Wissenschaft und der Lebenswelt nicht zu überbrücken. Die Kunst hilft, Dinge sichtbar zu machen, die sonst abstrakt bleiben würden, und der Wissenschaftler agiert wie ein Künstler, wenn er sich selbst um Veranschaulichung bemüht. Denken Sie daran, dass ein Viertel des Bruttosozialprodukts mit Anwendungen der Quantenmechanik verdient wird, aber kaum ein Mensch hat auch nur eine vage Vorstellung von dieser Theorie, begreift diese Theorie auch nur ansatzweise. Da haben wir eine Verständnislücke, die gigantisch ist und von den Wissenschaften allein nicht geschlossen werden kann. Hier kann der Künstler eine Vermittlungsaufgabe übernehmen; er kann uns vor Augen führen, dass die geheimnisvollen Quantisierungsregeln auch physisch real sind. 

ZEIT: Beschwört Ihr Konzept nicht eine doppelte Gefahr herauf? Auf der einen Seite naturalisieren Sie die Kunst. Und auf der anderen Seite ästhetisieren Sie die Wissenschaft, man könnte auch sagen: Sie verharmlosen sie.

BRÜNING: Das wäre ein Missverständnis. Sie übersehen, dass es eine faktische Konvergenz zwischen Kunst und Wissenschaft gibt, eine innere Verwandtschaft. Eine vollendete wissenschaftliche Konstruktion muss zum Beispiel selbst auch ästhetisch sein, weil sie einen Optimierungsprozess durchlaufen hat. Auch der Wissenschaftler möchte, wie der Künstler, ein komplexes Phänomen verdeutlichen, und deshalb ist es nicht Willkür, wenn er die Schönheit zum Maßstab nimmt; er ist auf sie angewiesen. Er will gewisse Regeln zeigen - oder den Bruch von Regeln, das macht im Prinzip keinen Unterschied - wie der Künstler. Hat der Wissenschaftler eine Lösung, wird er diese vielleicht auch technisch umsetzen - auf möglichst schöne Weise. Das hat zum Beispiel Hermann von Helmholtz ausgezeichnet: Er hat seine Erfindungen - die jeweils Problemlösungen waren! - immer weiter verbessert, am Ende sahen sie fantastisch aus, durchgearbeitet bis ins Letzte. 

ZEIT: Widerspricht dies nicht fundamental dem Gang der Wissenschaft? Sie wird doch immer abstrakter und drängt vom Anschaulichen weg zur Formel.

BREDEKAMP: Es gibt immer beides: eine unablässige Energie, sich von der Anschauung zu entlasten und begrifflich zu werden, aber ebenso auch den entgegengesetzten Antrieb. Man könnte sagen, dass alles Anschauliche zum Begriff, aber umgekehrt alles Abstrakte zur Veranschaulichung drängt. Die Wissenschaftsgeschichte hat lange versucht, vor allem den Erkenntnisprozess vom Anschaulich-Taktilen zum Begrifflich-Formelhaften als Höherentwicklung zu beschreiben, wie es auch Ihre Frage nahe legt. Heute ist sie aber mit dem Problem konfrontiert, dass der Stoff der Naturwissenschaften tatsächlich noch nie so unanschaulich war, im Gegenzug aber ein beispielloses Visualisierungsprogramm erzeugt. 

ZEIT: Wo und wie äußert sich dies?

BREDEKAMP: In Vorträgen von Technikern, Mikrobiologen oder Neurologen kommt man aus dem Staunen nicht heraus über den ästhetischen Wettstreit, in dem die Ergebnisse demonstriert werden. Es sind ja keinesfalls Nachbilder, sondern errechnete Konstruktionen, die aufgrund ihrer Farbenpracht und Präzision den Eindruck erwecken, realer zu sein als die Realität. Wer sich heute in der Welt orientieren will, kommt nicht um die Frage herum, was sie im Äußersten zusammenhält. Die Zeitschrift Nature hat einen Kunsthistoriker, Martin Kemp, gebeten, von 1997 an regelmäßige Kolumnen über das konfliktreiche Bündnis von Naturwissenschaft und Kunst zu verfassen. Diese bedeutende Zeitschrift hat keinen Platz zu verschwenden. Ihr schien aber geboten, die Sensibilität für die gegenwärtige Ästhetik der Molekül- und Genmodelle, der tomografischen Schnitte und der anatomischen Simulationen historisch zu schulen. 

ZEIT: Verwischen Sie nicht auf sehr problematische Weise die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst? Sie inszenieren die Resultate der Forschung als ästhetisches Objekt und erwecken damit den Anschein, die Hervorbringungen der Wissenschaften seien sei so schön wie die Natur selbst.

BRÜNING: Nein, keineswegs. Die Wissenschaft drängt von sich aus zur Anschauung, und der Betrachter drängt zum Verstehen. Helmholtz hat das einmal so ausgedrückt: Es kommt bei der Einsicht in abstrakte wissenschaftliche Zusammenhänge nicht so sehr auf eine besondere Vorbildung an, sondern nur darauf, die Aufmerksamkeit durch geeignete Mittel passend zu lenken. Die "passende Lenkung" der Aufmerksamkeit ist aber im Kern eine ästhetische Aufgabe, die die Forschung begleitet. Die gerade von Horst Bredekamp erwähnten Visualisierungsalgorithmen sind ein schlagendes Beispiel für diesen Vorgang, der sich aber historisch dingfest machen lässt als Motor der wissenschaftlich-technischen Entwicklung; sein "Treibriemen" ist die zugleich abstrakteste und konkreteste Form der Wirklichkeitsbewältigung: die Mathematik. Im Übrigen geht es uns nicht um die Abbildung der Welt. Jeder Mensch trägt seinen Erkenntnisapparat bei sich, jeder Mensch will diese Welt verstehen. So sehr unterscheiden sich Künstler und Wissenschaftler deshalb nicht. Sie setzen sich grundsätzlich mit denselben Sachen auseinander, nur im letzten Teil ihres Weges benutzen sich unterschiedliche Methoden. Ein gelungenes Kunstwerk erklärt etwas, was einmalig ist, was noch nicht zu voller Begrifflichkeit vorgedrungen ist. Die Komplexität der Welt kann nicht allein wissenschaftlich gefasst werden, zumal die wissenschaftliche Methodik nur greift bei Prozessen oder Strukturen, die sich wiederholen.

ZEIT: Sie versuchen, das Prinzip der Kunstkammer wieder zu beleben. Mit der Kunstkammer, in der Gemälde neben Maschinen, Mineralien und Exotika ihren Platz fanden und die um 1600 in Prag ihren Höhepunkt hatte, beginnt das umfassende Sammeln. Sie macht auch bei Ihnen ein eigenes Kapitel aus. Dennoch: Heute wird doch das Prinzip Kunstkammer der Komplexität der Forschung nicht mehr gerecht.

BREDEKAMP: Ja und nein. Die Kunstkammer ist für uns eine Metapher, ein Anspruch, und nicht eine wieder zu belebende historische Größe. Ihre Funktion wird in unserer Zeit durch den Computer gewährleistet. Heute ist es der Rechner, der mit seinen egalisierenden Visualisierungen Verbindungen schafft, wie sie frühere Epochen auf dem Tableau der Kunstkammer bewirken konnten. Vor diesem Hintergrund kam eine historische Nachstellung von Kunstkammern, wie sie in den großen Ausstellungen in Essen, Prag oder New York versucht wurde, für uns nicht infrage. Was wir mit dem Architekten Christian Axt umgesetzt haben, ist geradezu die Negation ihrer ästhetischen Erscheinung, um ihr erkenntnistheoretisches Prinzip zu wahren. Uns geht es um das Begreifen jedes einzelnen Exponates - als eines Artefaktes, das für sich spricht, um Beziehungen eingehen zu können. 

ZEIT: Das klingt trotzdem nach einer kosmischen Einheit aus Wissenschaft und Kunst. Für die ästhetische Subjektivität des Künstlers, für seinen Eigensinn, seine geschichtlichen Erfahrungen bleibt kein Raum mehr.

BREDEKAMP: Nein, nicht Einheit, sondern Beziehung. In unserer Ausstellung haben wir versucht, zwischen allen Räumen Relationen herzustellen. Der Besucher soll das Gefühl haben, sich in einem Ensemble zu bewegen, das keineswegs einem holistischen Kosmos gleicht; vielmehr wollen wir trennen, um zu verbinden. Wir wollen nicht sagen: Alles ist Kunst, und die kitschige Gefühligkeit des New Age kann sich bei uns nicht einstellen. Anders als bei Ausstellungen der neunziger Jahre, bei denen alles vermischt wurde, haben wir die Objekte und die Bereiche scharf isoliert, um auf desto gehaltvollere Brückenschläge zu vertrauen. Es ist eine Ausstellung, welche die Postmoderne als eine vergangene Epoche voraussetzt. 

ZEIT: Wenn, wie Sie sagen, Kunst und Wissenschaft nur zwei Varianten eines ästhetischen Willens sind, dann muss es etwas Verbindendes geben, etwas Drittes, dem diese beiden Varianten entspringen. Ein Weltgeist kann es wohl schlecht sein. Oder ist für Sie die Evolution eine "treibende Kraft"? 

BRÜNING: Beides entspringt grundlegenden evolutionären Strategien. Jeder Organismus besitzt einen, möglicherweise sehr primitiven, "Weltbildapparat", der es ihm ermöglicht, erfolgreich auf gewisse Veränderungen der Umwelt zu reagieren; die wichtigsten Weltbildapparate des Menschen sind sicher die Wissenschaft und die Kunst. Im Übrigen gibt es analoge Prozesse, die den schöpferischen Akten in Kunst und Wissenschaft vorausgehen: das Sammeln von Objekten - seien es Materialien, Dokumente, Bilder oder Messdaten, das Anordnen des Gesammelten, schließlich ein intensiver interner und externer Vergleich der Objekte nach unterschiedlichsten Gesichtspunkten. Sowohl den Laokoon wie Newtons Bewegungsgesetz können wir uns so entstanden denken - und das hat noch nichts mit Gott oder Weltgeist zu tun.

ZEIT: Wollen Sie damit sagen, Kunst und Wissenschaft folgen derselben evolutionären Logik?

BRÜNING: Das kann man so sehen. Es gibt Gesetze der Evolution, die uns letzten Endes dazu zwingen, so vorzugehen. Die Mechaniker zum Beispiel denken darüber nach, wie sie Dinge (zur Kraftübertragung) neuartig kombinieren können. Und immer da, wo sie keiner Tradition folgen können, entsteht ein Freiraum, in dem etwas Neues entstehen kann. Da folgen sie einem gewissen Regelwerk - das ich als mathematisch ansehe -, das zu solchen ästhetischen Lösungen führt. Bedenken Sie, die künstlerische Avantgarde war immer in engstem Kontakt mit der Front der Wissensproduktion. Die Kunst ist allerdings etwas unabhängiger als die Wissenschaft. Der Künstler ist nicht verpflichtet, sein Werk in Antragsabschnitten vorzulegen, die regelmäßig von einem Gutachtergremium überprüft werden. 

ZEIT: Herr Bredekamp, sehen Sie das auch so? Wollen Sie helfen, die Legitimationsprobleme der Wissenschaft zu beseitigen? Anders gefragt: Soll die Kunst eine Art Akzeptanzhelfer für riskante Naturwissenschaft sein?

BREDEKAMP: Die Akzeptanzprobleme der Naturwissenschaften sind nur durch diese selbst zu beseitigen. Hierzu gehört paradoxerweise die Erkenntnis, dass sie die Kunst stärker benötigen als die Kunst die Wissenschaften. Barbara Stafford hat glänzend gezeigt, wie etwa die Verschmelzung genetischer Sequenzen höchst unterschiedlicher Lebewesen durch die Kunstform der Montage einen kongenialen Vorläufer besitzt.

ZEIT: Ist Kunst seismografisch? Zeigt sie Krisen, noch bevor die Gesellschaft diese wahrnimmt?

BREDEKAMP: Immer und immer noch. Es hat die Ausstellung Sensations gegeben, in Berlin beiläufig aufgenommen, in London ein kleiner Skandal, in New York ein großer. Damien Hirsts durchschnittene Rinder, die natürlich bereits in Kenntnis des BSE-Problems in England entstanden, wirkten zunächst ekelhafter als die verdrängte Wirklichkeit. Heute wirken sie als Vorschein und Kritik des ästhetischen Rinder-Holocaust, wie er in den Bildern von den zerdrehten, zerfrästen, zermahlenen und geschroteten Leibern per Tagesschau auf ins Wohnzimmer gelangt. Wie will man diesen Vorschein erklären außer durch intuitive Leistungen, zu denen keine andere Kultursphäre fähig ist?

ZEIT: Können wir die Naturwissenschaften erst dann kritisieren, wenn wir von ihnen eine Anschauung haben?

BREDEKAMP: Denken Sie an das Urmodell der DNS-Doppelhelix, das durch eine offenbar durch Mobiles von Calder geschulte Künstlerin geschaffen wurde. Wenn man die ästhetische Oberfläche derartiger Konstrukte ernst nimmt, ist es möglich, schließlich bis zu einer Kritik der Bildmetaphern zu kommen, die uns umkapseln. Durch die Symbolisierung der Gene in vier Buchstaben werden sie als Text suggeriert, um nahe zu legen, dass eine Erschließbarkeit nach grammatikalischen Regeln möglich sei. Kein Mensch weiß, ob das gelingen kann, aber die Illusionskraft der Buchstabenbilder, die auch jede andere Form, etwa vier Zahlen, vier geometrische Figuren oder vier Sternzeichen hätten annehmen können, ist gewaltig. In diesem Sinn ist unsere Ausstellung eine Vorschule der Kritik des Äußeren, welche die Leistungen der ästhetischen Prägung von Naturwissenschaft würdigt, aber die Suggestionen zeigt, die mit dieser verbunden ist. 

ZEIT: Sie beide haben an der Humboldt-Universität das Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik gegründet, das auch für die Ausstellung Theatrum naturae et artis verantwortlich ist. Was ist Ziel des Instituts? Interdisziplinäre Forschung?

BREDEKAMP: Nein, nicht im gewöhnlichen Sinn von "Interdisziplinarität". Diese hat viel versprochen und doch immer wieder nur dazu geführt, dass sich Nachbarwissenschaften die Gegenstände rauben, ohne die mit den Gegenständen verbundenen Methoden wahrzunehmen, was zu einer teils unerträglichen Verflachung geführt hat. Das Helmholtz-Zentrum hat sich dagegen auf den gemeinsamen Versuch geeinigt, eine das Lagerdenken von Natur- und Geisteswissenschaften überwindende Kulturtheorie zu entwickeln. Dabei geht es nicht um Vereinnahmung der einen Seite durch die andere, sondern eher um das, was die Theologen "wechselseitige Immanenz" nennen. 

BRÜNING: Wir glauben, dass die interessanten Fragestellungen von Natur aus "interdisziplinär" sind, weil sie keiner Disziplin angehören, sondern auf ein komplexes Stück Wirklichkeit zielen, dessen Regeln erst noch gefunden werden müssen. Die wissenschaftlichen Disziplinen sind wie hauchdünne Schnitte aus der Realität, für neue Fragen müssen wir neue Anschnitte durchführen, aber was wir schon wissen, kann uns dabei durchaus helfen.

Die Fragen stellten Petra Kipphoff, Thomas Assheuer

(c) DIE ZEIT   10/2001