Cézanne, Paul * 19.1.1839 in Aix † 22.10.1906 in Aix Nur in dem Sonderfall Paul Cézanne wurde es zum Ereignis, daß ein Autodidakt sich die ungeheuere Aufgabe stellte, den gesamten Erfahrungsbereich der Malerei von Anbeginn an nochmals zu durchmessen. Die Gewalt seines barocken Temperaments spricht bereits aus den Arbeiten seiner ersten, der romantischen Schaffensperiode, die von 1860 bis 1870 dauerte, und in der er - in der Malweise nur Daumier vergleichbar, aber mit weit größerer Kraft - die Nichtigkeit der Inspiration durch Literatur und reine Phantasie entlarvte. Als Cézanne aber von Pissarro zur Freilichtmalerei bekehrt wurde, änderte sich seine Auffassung vom Sehen und Gestalten völlig: Seitdem entstand von seiner Hand kein einziges Werk, das nicht unmittelbar von der Natur inspiriert worden wäre. Doch Cézanne schritt über den Impressionismus hinaus, und gegen 1878 strebte er empirisch nach einer neuen Form des Klassizismus, die nicht mehr wie die alte eine geistige Zucht, vielmehr ein methodisch erarbeitetes Endergebnis der Naturbeobachtung war. Nur darin blieb er dem Impressionismus treu, daß er das Schwarz von seiner Palette verbannte und auch die in der Freilichtmalerei der Meister von Argenteuil verwischten Formen wiederherzustellen suchte, und zwar ausschließlich durch die Farbe, ohne seine Zuflucht zum Helldunkel zu nehmen. Dieses Streben nach dem Ideal, das Forschen nach dem Vorbild in der sich bewegenden Welt des Scheines verwirklichte er durch immer neue Versuche an der Figur, im Stilleben und in der Landschaft; er kam schließlich zu Bildern, in denen er - nun bis zu monumentalen Ausmaßen gesteigert - den schon in seiner Jugend aufklingenden Vorwurf des Nackten in der Natur wieder aufnahm, der in der Malerei des Altertums die schönsten klassischen Werke hervorbrachte. Gegen 1885 schuf er seine hervorragendsten Bilder in dieser Art; indem er sich vom pastosen Farbauftrag frei machte, der noch die Werke seiner impressionistischen Periode beschwerte, wurde nun seine Malweise unter dem Einfluß des Aquarells, das er immer mehr pflegte, leicht und bei aller Entschiedenheit ungezwungen: sie zeigte den ganzen Zauber der Form und alle Zartheiten der Farbe. Die damaligen Fassungen des Mont Ste- Victoire (London, New York, Washington) zählen zu den vollkommensten Äußerungen, die nach den Gesetzen der klassischen Ästhetik hervorgebracht wurden. Doch beim Herannahen des Todes, gegen 1900, in der sogenannten Periode des Château Noir - Schwarzes Schloß (New York) -, wurde Cézanne wieder von der barocken Richtung seiner Jugend erfaßt. Seine Landschaften scheinen zu flammen, seine verschiedenen Fassungen vom Mont Ste-Victoire krampfhaft verzerrt zu sein wie Vulkane und seine Gestalten zu schwanken. In allem scheint sich ein Wiederbeginn jener Unruhe auszudrücken, die ihn während seines Lebens so stark gequält hatte, daß er viele seiner Gemälde zerstörte, und die noch gesteigert wurde durch die Verachtung, die man seiner Kunst in nicht geringem Maß entgegenbrachte. Doch scheint er wenigstens in seinen letzten Jahren, durch die Huldigungen der Jungen ermutigt, etwas mehr Glauben an sein Genie gewonnen zu haben. Cézanne ist einer der Höhepunkte der Malerei und dank seines kartesianischen Geistes einer ihrer wesentlichsten französischen Exponenten. Die Art und Weise, womit er daran festhielt, dem Formgefühl wieder Geltung zu verschaffen, hatte beträchtlichen Einfluß auf die Revolution der Malerei des 20. Jahrhunderts. Mit Recht bezeichnet man ihn als den »Vater der modernen Malerei«. Der Name Cézanne geht auf das piemontesische Dorf Cesana zurück. Einwohner, die den Namen ihres Dorfes trugen, wanderten um die Mitte des 17. Jahrhunderts nach Briançon aus, wo sich die Schreibweise ihrer Namen in Césane und Cézanne veränderte. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts machte sich ein Cézanne in Aix ansässig. Dort begann Louis Auguste Cézanne, der Vater des Malers, seine Laufbahn als Hutfabrikant; er beendete sie als Bankier. Er erwarb 1848 gemeinsam mit Cabassol die in Konkurs geratene Bank Bargès und machte das Unternehmen zu dem blühenden Bankhaus Cézanne-Cabassol. Seiner außerehelichen Verbindung mit Elisabeth Aubert entsprossen 1839 der Knabe Paul und 1841 das Mädchen Marie. Der Vater erkannte die Kinder zwar an, aber erst 1844 heiratete er ihre Mutter, die ihm zehn Jahre später noch eine zweite Tochter, Rose, gebar. Der junge Paul hatte ein heftiges, nervöses und schwer lenkbares Wesen. Er verbrachte seine Kindheit in Aix; dort besuchte er zunächst das Pensionat St-Joseph und anschließend das Collège Bourbon, von 1852 bis 1858. Cézanne war ein fleißiger Schüler und tat sich in Latein mehr hervor als im Zeichnen. Damals befreundete er sich mit Baptistin Baille, der später Polytechniker und Fabrikant optischer Geräte wurde, und mit Émile Zola. Besonders diesem fühlte er sich verbunden, und auf gemeinsamen Spaziergängen durch provenzalische Felder deklamierten beide Gedichte. Cézanne besuchte auch die in der Umgegend wohnenden Maler wie Philippe Solari, Villevieille und Achille Emperaire. Er begann seine künstlerische Entwicklung mit der Teilnahme an Kursen nach dem lebenden Modell, die von Professor Gibert an der vom Museum der Stadt abhängigen École des Beaux-Arts geleitet wurden. 1859 kaufte der Vater in der Nähe von Aix die Besitzung »Le Jas de Bouffan«, das bedeutet soviel wie »Wohnung der Winde«. Cézanne hat das Haus, das Wasserbecken und die dortige Kastanienallee wiederholt gemalt. Der Sitz hatte im 17. Jahrhundert dem Marschall von Villars gehört; er besteht noch heute. Zwei Jahre lang kämpfte Paul Cézanne gegen die Vorurteile seiner Familie, die seinem Wunsch, Maler zu werden, Widerstand entgegensetzte. Der Vater wollte den Sohn zu seinem Nachfolger in der Bank heranbilden und gab ihm den Rat, zunächst Jura zu studieren. Doch nur tagsüber befaßte sich Cézanne mit diesem Studium, abends besuchte er die École des Beaux-Arts. Auch wurde er von Zola, der inzwischen in Paris lebte, bedrängt, dorthin nachzukommen. Endlich, 1861, fügte sich Cézannes Vater dem Drängen des Sohnes; begleitet von seiner Tochter Marie brachte er den Starrkopf nach Paris. Cézanne blieb dort ungefähr sechs Monate, fühlte sich aber so fremd wie ein Provinzler, der zufällig in eine große Stadt verschlagen ist. Er studierte an der Académie Suisse auf der Île de la Cité; nachmittags ging er in den Louvre oder ins Atelier seines Freundes Villevieille. Noch bei seiner Rückkehr nach Aix zweifelte er unter seines Vaters Einfluß an seiner Berufung. Er nahm die Arbeit an der Bank und daneben das Rechtsstudium wieder auf. Doch liebte er diesen Beruf nicht, und im November 1862 ging er neuerlich nach Paris, wo er sich im Quartier Latin eine Wohnung suchte. Nun kam er morgens und abends in die Académie Suisse; er trat auch aus seiner Isoliertheit heraus und wurde bekannt mit Pissarro, Guillaumin und mit dem Spanier Francesco Oller y Cestero. Häufig besuchte er den Louvre und bewunderte seine Lieblingsmeister Rubens, Tintoretto, Veronese und Poussin. Im Salon des Refusés von 1863 begeisterte er sich für Manets Kühnheiten. Im selben Jahr bewarb er sich an der Ecole des Beaux-Arts, wurde aber abgewiesen. Von nun an lebte er teils in Paris und teils in Aix. Im Sommer 1866 entführten ihn seine Freunde Zola, Solari und Baille an die Ufer der Seine nach Bennecourt; gelegentlich besuchte er auch die Bucht von L'Estaque bei Marseille. Von 1858 bis ungefähr 1870 wurzelte Cézannes künstlerisches Schaffen ganz in der Romantik. Er arbeitete nach literarischen Themen in einer Technik, die er später seine »Facture Couillarde« nannte. Er malte pastos und gebrauchte den Spachtel, um die Farbmassen zu türmen. Der Gesamtton dieser Bilder war dunkel, wie Das Urteil des Paris (Paris), Die Entführung (London) und Versuchung des hl. Antonius zeigen; dieses Darstellungsthema verdankte er dem Dichter Gilbert des Voisins, der ihn angeregt hatte, eine Reihe von Illustrationen zu Flauberts gleichnamigem Werk zu schaffen. Vorübergehend stand er stark unter dem Einfluß Courbets und schuf 1863 Nachmittag in Neapel, Die Leichenöffnung und Grablegung. Auch Manets »Frühstück im Freien«, das 1863 im Salon des Refusés gezeigt wurde, und »Olympia« im Salon von 1865 beeindruckten ihn tief. Bereits um diese Zeit versuchte sich Cézanne als Porträtist; er malte seinen Vater beim Zeitunglesen (Paris) und seine Mutter, seine Schwester Marie, Anthony Valabrègue, Zola und Alexandrine Gabrielle Meley, seine damalige Freundin und spätere Frau Zolas. Seine ersten Stilleben waren Brot und Eier, 1865, Der Teekessel und Die schwarze Standuhr (Paris). In seinem Atelier malte er Landschaften nach Skizzen, die er in der Provence gemacht hatte. Die früheste Komposition der Badenden entstand um 1860. Für den Salon seines Vaters in Jas de Bouffan schuf er vier Tafeln, auf denen er die Vier Jahreszeiten, in Paris, darstellte und ironisierend mit »Ingres« signierte; in ihrem naiv übertragenen akademischen Stil erscheinen diese Bilder wie Parodien. Während des Krieges 1870 verbarg sich Cézanne, der diensttauglich war, vor einer Einberufung in Jas de Bouffan. Da er sich dort bald nicht mehr sicher fühlte, flüchtete er weiter nach L'Estaque bei Marseille, wo er zurückgezogen mit seiner neuen Gefährtin Hortense Fiquet lebte. Als er 1871 nach Paris zurückkehrte, war sein Freundeskreis zerstoben. Nur Pissarro lebte in Pontoise; er nahm Cézanne bei sich auf und machte ihn mit Doktor Gachet, einem Amateurmaler und Bewunderer des Impressionismus, bekannt. Gachet war Arzt in Paris und wohnte in jeder Woche drei Tage in Auvers. Dort ließ sich bis 1874 auch Cézanne nieder. Da er immer noch Mißstimmungen seines Vaters fürchtete, der seine Börse fest verschlossen hielt, verheimlichte er ängstlich die Bindung an Hortense, die ihm 1872 einen Sohn geboren hatte. In Auvers lebte Cézanne inmitten der Natur, ganz unter dem Einfluß von Pissarro, der dazu beitrug, daß er sich aus der Romantik seiner Jugend löste und nun mit der Freilichtmalerei begann. 1873 schuf er das Haus des Gehenkten (Paris) und zwölf Landschaftsbilder von der Île-de-France mit ihren Häusern, ihren Straßen und den Feldern von Auvers und Umgebung. Er malte sein Selbstbildnis, das Porträt Hortense Fiquet, Frau mit Kind (Paris) und ein Bildnis von Chocquet. Bei Doktor Gachet machte er einige Radierungen. Anfang 1874 verließ er Auvers, und noch im selben Jahr stellte er auf der ersten Ausstellung der Impressionisten, die bei dem Photographen Nadar am Boulevard des Capucines stattfand, das Haus des Gehenkten aus, das vom Grafen Arnaud Doria angekauft wurde. Cézanne war nun drei Jahre fern von seinen Eltern gewesen, jetzt ging er ohne Hortense nach Aix. In den folgenden beiden Jahren entstanden vor allem Landschaften der Île-de-France und vom Jas de Bouffan, aber auch Porträts und einige Darstellungen des Don Quichotte, wozu er gewiß durch Daumier angeregt worden war. Auf der dritten Impressionisten-Ausstellung war Cézanne mit 16 Gemälden, darunter fünf Stilleben, vier Landschaften, zwei Porträts, einer Studie der Badenden und drei Aquarellen vertreten. Die Kritik verfuhr besonders übel mit ihm; gekränkt durch diesen Mißerfolg zeigte er zunächst seine Werke nicht mehr in der Öffentlichkeit und wurde zum Einsiedler. Nur wenige Menschen besaßen damals Gemälde von ihm: Doktor Gachet, der allen seinen Freunden half, auch Graf Doria und endlich Chocquet, ein bescheidener, in Delacroix vernarrter Beamter, der sich auch in Cézannes Malerei verliebte und 31 Ölbilder von ihm erwarb. Cézanne malte Chocquet (Cambridge): einen Kopf mit flammenden Haaren. Auch bei Vater Tanguy, einem Farbenreiber, der seine Ware den Freiluftmalern im Tausch gegen ihre Gemälde überließ, konnte man Cézannes Arbeiten finden. Tanguys erste Kunden waren Guillaumin, Pissarro und Cézanne, nach 1875 auch Gauguin, van Gogh und Toulouse- Lautrec. Ende 1877 beschloß Cézanne mit Hortense und dem Sohn zu seiner Familie zurückzukehren. Doch wurden sie nicht sehr freundlich aufgenommen. Cézanne mußte Aix wieder verlassen und ging nach L'Estaque. Für einige Monate verweigerte der Vater sogar die Mittel für den Lebensunterhalt. Aber schließlich beruhigten sich die Gemüter. 1879 verbrachte Cézanne einen sehr strengen Winter in Melun, wo er das Bild Schneeschmelze malte, das von Chocquet angekauft und gegen das Haus des Gehenkten mit dem Grafen Doria getauscht wurde. Danach arbeitete Cézanne in Pontoise, Auvers, Fontainebleau, an den Ufern der Seine und in seiner provenzalischen Heimat. Bis 1882 schickte er zu allen Salons Werke ein, doch regelmäßig wurden seine Bilder zurückgewiesen. Erst durch Vermittlung seines Freundes Guillemet erlebte er, daß zum Salon von 1882 eines seiner Porträts zugelassen wurde. Verärgert über die vielen Mißerfolge, zog er sich in die Provence zurück, wo ihn Renoir auf der Rückkehr von einer Italienreise besuchte. Später wurde er von Renoir in Roche-Guyon empfangen. Im Jahre 1886 verlor Cézanne seinen Vater und erbte damit ein Vermögen von 400000 Francs und den Sitz Jas de Bouffan. Damit war er vor Sorgen geschützt und konnte endlich Hortense Fiquet heiraten. Im selben Jahr entzweite er sich mit Zola. Allmählich hatte sich Cézannes Malerei von den im eigentlichen Sinn impressionistischen Einflüssen gelöst, und gegen 1880 fand er nun seinen eigenen, gänzlich neuen Weg. Er malte Stilleben; da er sehr langsam arbeitete, bevorzugte er als Fruchtvorlagen Äpfel, weil diese sich am längsten hielten. Jedes Bild wurde für ihn Gegenstand neuen Suchens. 1883 malte er wiederum den Mont Ste-Victoire (New York), der Aix beherrscht und wohin er seit seiner Kindheit Ausflüge gemacht hatte. Er malte auch in L'Estaque und in Gardanne. Wie er später sagte, war es sein Programm »Poussin nach der Natur wiederzuschaffen«. Daneben entstanden immer noch Porträts, wie Frau Cézanne (Zürich), Junger Mann mit Totenkopf (Merion), Junge Italienerin, Gustave Geffroy (Paris) und auch Die Kartenspieler (New York, Paris); von dieser Komposition existieren fünf Fassungen. 1891 stellte er in Brüssel drei Gemälde aus. 1895 richtete er sich in der Nähe von Aix auf der Besitzung des Château Noir eine Hütte ein. Er bekam damals Verbindung zu dem Dichter Joachim Gasquet, und der Kaufmann Vollard, der seine Gemälde in Vater Tanguys Laden gesehen hatte, veranstaltete eine Ausstellung. Im selben Jahr ging Cézanne, der seit längerer Zeit an Zuckerkrankheit litt, zur Kur nach Vichy; auf der Rückreise malte er in Talloires See von Annecy (London). 1897 starb seine Mutter, die er tief betrauerte. Er blieb in Aix; im Jahre 1899 verkaufte er Jas de Bouffan. In den folgenden Jahren widmete er sich immer intensiver seiner Arbeit und lebte einsiedlerisch zurückgezogen, scheu und furchtsam, da er sich von den Schülern der École des Beaux-Arts in Aix verlacht fühlte. Nur die regelmäßigen Zusammenkünfte mit dem jungen Léo Larguier, der damals seinen Militärdienst in Aix leistete, und die Bewunderung einiger junger Pariser Maler hellten seine letzten Jahre etwas auf. Er bewohnte ein Haus innerhalb der Stadt, kaufte dann 1901 ein etwas außerhalb, am Chemin des Lauves gelegenes Grundstück, wo er sich ein Atelier erbauen ließ, das heute in ein Museum umgewandelt ist. 1899, 1901 und 1902 stellte er im Salon des Indépendants und 1905 im Salon d'Automne aus. 1904 machte Émile Bernard seine Bekanntschaft; er besuchte ihn in Aix und veröffentlichte ihre Gespräche im »Mercure de France« vom Juni 1904. Cézanne starb am 22. Oktober 1906 an einer Erkältung, die er sich, auf freiem Felde malend, bei einem Gewitter zugezogen hatte. Im Jahr darauf veranstaltete man im Salon d'Automne zu Ehren des Verstorbenen eine Gedächtnisausstellung mit 56 seiner Bilder. Erst gegen Ende seines Lebens sahen die jungen Künstler in ihm ihr Vorbild. Für den Salon de la Société Nationale des Beaux- Arts schuf Maurice Denis eine »Huldigung an Cézanne«, auf der, um eine Staffelei mit einem Stilleben des Meisters geschart, Vollard und mehrere Künstler dargestellt sind.