Expressionismus (Kunst und Architektur), (lateinisch expressio: Ausdruck), künstlerische Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts, die in der bildenden Kunst, in der Literatur, in der Architektur, in den darstellenden Künsten und der Musik ihren Ausdruck fand. In der bildenden Kunst entstand sie als Reaktion auf die als erstarrt empfundenen Normen des Impressionismus, dem sie eine subjektive Steigerung des Ausdrucks entgegenzusetzen suchte. Ihre bevorzugten Darstellungsmittel sind radikale Vereinfachung, Verzerrungen in Form und Proportion, die Verwendung ungebrochener Farbtöne, die in grellen Kontrasten gegeneinander gesetzt werden, sowie eine allgemeine Neigung zum Plakativ- Überzeichneten. Malerei, Graphik und Plastik Auch wenn der Begriff erstmals 1911 in Herwarth Waldens Zeitschrift Der Sturm auftaucht, finden sich expressive Momente bereits in früherer Kunst. Seit dem Mittelalter neigten Maler und Bildhauer dazu, durch das Überzeichnen von Figuren das spirituelle Moment der Darstellung zu betonen, wie auf den Tafelbildern des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald oder in vielen Werken des spanischen Malers El Greco deutlich wird. Bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert arbeiteten der niederländische Maler Vincent van Gogh, der Franzose Paul Gauguin und der Norweger Edvard Munch in expressiver Manier, indem sie die emotionalen Qualitäten der Farben im Sinn der Gesamtwirkung eines Werkes zu nutzen verstanden. Entscheidend für die Entwicklung des Expressionismus zu einer breiten Kunstströmung waren jedoch Veränderungen in der deutschen Kunstlandschaft, namentlich in Berlin. Der offizielle Kunstbetrieb war beherrscht von dem einflussreichen Porträtmaler Anton von Werner, der mit Unterstützung des kaiserlichen Hofes eine akademisch erstarrte nationale Malerei propagierte. Daneben gab es Künstler wie Max Liebermann und den Naturalisten Fritz von Uhde, später auch Käthe Kollwitz, die vom französischen Impressionismus und dem Naturalismus eines Gustave Courbet angeregt, soziale Themen in den Mittelpunkt ihrer Werke rückten. Nachdem man 1892 den norwegischen Maler Edvard Munch gebeten hatte, in Berlin auszustellen, die Ausstellung jedoch zu einem Skandal führte und nach zwei Tagen geschlossen wurde, spaltete sich der Berliner Verein Bildender Künstler auf. Max Liebermann gründete die Berliner Secession, der sich Maler wie Lovis Corinth und Max Slevogt anschlossen. In den Ausstellungen der Gruppe wurden Werke von Künstlern wie Ferdinand Hodler, Arnold Böcklin, Edvard Munch, Wilhelm Trübner, Max Slevogt, Lovis Corinth und Käthe Kollwitz gezeigt. Unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg formierte sich darüber hinaus ein einflussreicher, aufgeschlossener Kreis von Sammlern, Kunsthändlern (darunter Paul Cassirer und Alfred Flechtheim in Berlin, die Galerien Goltz und Thannhauser in München) und Museumsleitern (Alfred Lichtwark in Hamburg, Hugo von Tschudi in Berlin bzw. München), die der neuen Bewegung ein öffentliches Forum zur Verfügung stellten und ihnen eine ökonomische Grundlage sicherten. Die wichtigste deutsche Expressionistenvereinigung war die von den Malern Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff 1905 in Dresden gegründete Gruppe Die Brücke. 1906 stießen Emil Nolde und Max Pechstein dazu, 1910 Otto Müller. Bis zu ihrer Auflösung 1913 war sie eine enge Gemeinschaft, die zusammen arbeitete und ausstellte. Treibende Kraft des Zusammenschlusses war Kirchner, der unter dem Einfluss von Edvard Munch und der zu dieser Zeit in Deutschland neu entdeckten afrikanischen Kunst den Weg zu einer neuen antiimpressionistischen Ikonographie ebnete. Zu den eindrucksvollsten und originellsten Leistungen der Brücke-Künstler gehören ihre graphischen Werke. Sie erfanden den Linolschnitt und entdeckten den Holzschnitt neu. Diese Techniken kamen der expressionistischen Ästhetik der Flächigkeit, der vereinfachten Formen und des spontanen Ausdrucks entgegen (siehe Druckgraphik und druckgraphisches Gestalten). Nachdem sich die Münchner Secession geweigert hatte, Werke der Expressionisten auszustellen, gründeten Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky auf Initiative des neuen Direktors der Münchner Staatsgalerie, Hugo von Tschudi, 1909 die Neue Münchner Künstlervereinigung, zu deren Mitgliedern auch Gabriele Münter, Adolf Erbslöh und Marianne von Werefkin zählten. Die Ausstellungen der Gruppe, die durch Werke der französischen Fauvisten und Kubisten bereichert wurden (Pablo Picasso, Georges Braque, André Dérain, Georges Rouault u. a. stellten in München aus), zeigten eine Geschlossenheit, die später von der 1911 unter dem Ausstellungstitel Der Blaue Reiter gegründeten Gruppe nie wieder erreicht wurde. 1912 stellte Die Brücke mit der Münchner Gruppe Der Blaue Reiter ihre Bilder in Herwarth Waldens Galerie Der Sturm in Berlin aus. Dem Blauen Reiter gehörten u. a. die Maler Franz Marc, August Macke, der sich der Malerei Robert Delaunays verwandt fühlte, Heinrich Campendonk, der von alten Votivbildern beeinflusst war und sich mit der Volkskunst auseinander setzte, Paul Klee sowie die russischen Maler Alexej von Jawlensky und Wassily Kandinsky an, der, von der russischen Volkskunst beeinflusst, mit seiner Schülerin und Lebensgefährtin Gabriele Münter in Oberbayern arbeitete. Daneben gab es zahlreiche unabhängige Künstler, die sich den Expressionisten verbunden fühlten. Zu nennen sind neben Max Beckmann, Paula Modersohn- Becker, Ludwig Meidner oder Karl Hofer auch Alfred Kubin, der ein individuelles graphisches und literarisches Werk schuf, oder Christian Rohlfs, der lange dem Impressionismus verhaftet blieb, sowie der Zeichner, Bildhauer und Schriftsteller Ernst Barlach. Lyonel Feininger wurde später mit Kandinsky Lehrer für Malerei am Bauhaus. Eine eigenständige Ausprägung des Expressionismus in Österreich bildeten Künstler wie Egon Schiele und Oskar Kokoschka. In Frankreich nahmen die Fauvisten, aber auch Maler wie Georges Braque oder Pablo Picasso expressionistische Stilformen auf, wie Picassos Werk Guernica (1937, Prado, Madrid) zeigt (siehe moderne Kunst und Architektur). Als Gegenbewegung zum Expressionismus kann die sich nach dem 1. Weltkrieg formierende Neue Sachlichkeit verstanden werden, die vor allem von Otto Dix, George Grosz, Georg Schrimpf und Christian Schad vertreten wurde. Sie zeigte eine starke Tendenz zu politischem Engagement, Satire und Zynismus. Nicht nur formal, sondern auch in der Themenwahl unterschied sie sich vom Expressionismus. Wurde den Expressionisten ein Hang zur deutschen Romantik und zum Mystizismus vorgeworfen, so fanden die Maler der Neuen Sachlichkeit zu einem präzisen Realismus, der nüchtern und schonungslos die Wirklichkeit wie unter dem Mikroskop seziert. Expressionistische Tendenzen kamen auch international zur Wirkung, in Frankreich etwa im Werk Georges Rouaults und des gebürtigen Littauers Chaïm Soutine, in Belgien mit Constant Permeke, in den Vereinigten Staaten mit Max Weber. Dort fand die Bewegung nach dem 2. Weltkrieg mit dem Abstrakten Expressionismus, vertreten durch Maler wie Mark Rothko, Willem de Kooning, Franz Kline oder Jackson Pollock, die häufig den Malakt selbst thematisierten, auch eine ungegenständliche Ausprägung. Die expressionistische Bildhauerei hat ihre direkten Vorbilder in der plastischen Kunst der Naturvölker, insbesondere der afrikanischen Holzschnitzerei. Zu ihren herausragenden Vertretern zählen Ernst Barlach, Käthe Kollwitz und Wilhelm Lehmbruck.