Komposition: Der Begriff Komposition leitet sich von dem lateinischen Wort componere in der Bedeutung »zusammensetzen« ab und bezieht sich auf den formalen Aufbau von Werken der Musik und der bildenden Kunst, innerhalb deren dieser Begriff besonders für die Flächenkünste Zeichnung und Malerei angewandt wird. Die Bildung des Begriffs Komposition setzt die Erfahrung von Gesetzmäßigkeiten im Gestaltungsprozeß voraus und führt zur Regelbildung. Der Begriff Komposition ist nicht a priori mit jeder künstlerischen Gestaltung, die nach unserer heutigen Anschauung Gesetzesmäßigkeit erkennen läßt, gegeben; er ist somit kein reiner Sachbegriff, sondern vielmehr Ausdruck eines bewußten, gesetzmäßigen Vorgehens im künstlerischen Schaffen der geschichtlichen Zeit, die die formalen Bedingungen der Kunst als eine ihrer wesentlichsten Bedingungen erkannte, reflektierte und veränderte. Die Spannweite des Begriffsinhaltes Komposition ist demnach, wie die jeweilige Kompositionsweise, historischen Bedingungen unterstellt und kann, wie diese, als Phänomen der Stilgeschichte der Kunst gesehen werden. Der Begriff Komposition ist seiner Entstehung nach ein historischer, seiner Funktion nach ein theoretisch-ästhetischer. Formal bezieht sich der Begriff Komposition auf Teile und die zwischen ihnen herrschenden Relationen; er setzt somit als drittes eine Vorstellung vom Ganzen voraus. Die daraus resultierende formalistische Definition, wonach Komposition nur die Zusammenfassung von Teilen zu einem einheitlichen Ganzen ist, verlangt nach einer näheren und in der Sache präziseren Bestimmung der Teile, des Ganzen und der zwischen ihnen herrschenden Beziehungen. Die Teile sind die Elemente der Komposition des Ganzen. Diese Kompositionselemente sind in der Malerei identisch mit deren elementaren Grundbedingungen: Fläche, Begrenzung der Fläche, ferner Begrenzung von Teilflächen innerhalb der begrenzten Gesamtfläche, woraus sich die Linie als Kompositionselement ergibt. Neben Fläche und Linie ist zwar die Farbe eine Grundbedingung der Malerei; als Sonderfall der Fläche muß sie jedoch nicht zu den Kompositionselementen gezählt werden. Ein weiteres Kompositionselement ist die Malerei selbst, wenn sie, wie im Falle des Freskos, an die Architektur gebunden ist und als Teil der Architektur erscheint. Für die Feststellung dieser Kompositionselemente gleichgültig ist zunächst die Gestalt, in der sie auftreten: ob als Gewandfläche, Körperkontur, Bergmassiv oder Stadtsilhouette. Die Ordnung der Kompositionselemente verfolgt die Herstellung eines Ganzen, in dem sich eine Vorstellung vom Ganzen als Kompositionsprinzip verwirklicht. Die Malerei bezog sich im Laufe ihrer Geschichte auf verschiedene Ganzheitsvorstellungen, die gleichzeitig Eckpfeiler und Wendepunkte der Geschichte der Komposition darstellen. So war die Malerei des Mittelalters, und die architekturbedingte Wand- und Deckenmalerei eigentlich jeder Stilepoche, auf die Architektur als das vorgestellte und wirkliche Ganze bezogen; aber sowohl am Beispiel der mittelalterlichen Fresken oder der Illusions- und Dekorationsmalerei des ð Barock wird klar, daß sich in dieser kompositionellen Beziehung von Teilen zu ihrem Ganzen nicht nur ein formaler, sondern vor allem ein inhaltlicher Bezug erfüllt, für den die Architektur ihrerseits als Sinn-Bild steht. Ähnliches läßt sich, wenn auch schwieriger und unbelegbar, für die Vorstellung des Ganzen in der ð prähistorischen Malerei sagen: sie entwickelt keinen Begriff von Komposition und erreicht in der lockeren Reihung von Gruppen allenfalls eine sehr unentwickelte Stufe des Komponierens, wie auch das »Kompositionselement« Fläche unbegrenzt und richtungslos ist. Formal sind die Darstellungen der prähistorischen Malerei daher nicht auf den späteren, strengeren Begriff von Komposition zu bringen; inhaltlich drücken aber auch sie eine Vorstellung vom Ganzen aus: die wesentliche, weil lebensnotwendige Bindung an Tier und Jagd und an die soziale Organisation im Verband der Sippe. Der Idealfall des Verhältnisses von Teilen zu ihrem Ganzen, in der ð Renaissance theoretisch begründet und in zahllosen Bildschöpfungen verwirklicht, ist das autonome Tafelbild, genauer eine besondere Form: der ð Tondo. Formal stellt das selbständige Tafelbild die ideale Koinzidenz des Ganzen und seiner Teile, nämlich die Erhebung der Kompositionselemente zum formal vollkommenen Ganzen dar. Inhaltlich bedeutet das Tafelbild der Renaissance die ideale, in sich jeweils vollkommene Verwirklichung einer Vorstellung des Ganzen, die auf dem ebenso komplexen wie differenzierten Weltbild der Neuzeit und seinen naturwissenschaftlichen Argumenten begründet ist. So ergibt sich das Paradox, daß das autonome Tafelbild seine formalkompositorischen Elemente in vollkommener Weise in sich vereinigt und verwirklicht und gleichzeitig stärker denn je auf Vorstellungen verweist, die außerhalb des Bildes all Komposition liegen. Das Kompositionsmittel, das diese Vermittlung im wörtlichen Sinne leistet, ist die Perspektive; sie steht zwischen den Kompositionselementen und der Vorstellung des Ganzen und gestaltet das Verhältnis der Teile zu ihrem Ganzen, indem sie sie verändert und aufhebt. Die Linie grenzt die autonome Fläche des Tafelbildes ein und hebt die Fläche als konstitutive Grundbedingung des Tafelbildes in den perspektivischen Fluchtlinien gleichzeitig wieder auf. Kompositionsmittel wie Proportion und Perspektive stehen in einer elementaren Beziehung zur jeweiligen Vorstellung des Ganzen, innerhalb deren sie als Bestandteile einer Weltanschauung entwickelt werden und zu deren Verwirklichung im Bild sie kompositionelles Mittel sind. Da die vorgeschichtliche Zeit ihre Anschauungen mehr oder minder unvermittelt gestaltet hat, können streng genommen nur zwei primäre Kompositionsmittel aus der Geschichte der Malerei abgeleitet werden: die auf Geometrie, Maß und Zahl aufbauende Proportion und die ð Perspektive, die tendenziell das Kompositionselement Fläche aufhebt. Sekundäre Kompositionsmittel sind die aus der Proportion entwickelte Körperproportion, Reihung, Symmetrie, ð Goldener Schnitt, figura pyramidale und ð Isokephalie; ferner die erst mit der ð Perspektive mögliche klare Disposition der Bildpläne in Vorder-, Mittel- und Hintergrund; schließlich die Farbe, die eigentlich dem Kompositionselement Fläche zuzuorden ist und nur in bestimmten Eigenschaften kompositorisches Mittel wird; so in der Proportionalität von Komplementär- und Supplementärwerten, im Aufbau von Trias und Hell-Dunkeleffekten und in der farbgebundenen Darstellung raumbildender Lichtwirkungen. Die Kompositionsmittel betreffen einen weitgehend differenzierten Aspekt der Komposition; deshalb ist die Nähe zur Stilgeschichte als der Geschichte der konkreten Anwendung dieser Kompositionsmittel hier am größten. Die Proportion fußt auf Maß und Zahl und zählt zu den ältesten und elementarsten Erfahrungen der geschichtlichen Menschheit. Sie stellt, neben der Perspektive, die entwickeltste, strengste und verbindlichste Systematik des Komponierens dar; sie ist bis in unsere Zeit relevant geblieben. Die Proportion geht zurück auf eine mythische Erfahrung von Zeit und Raum, die den Wunsch nach räumlich-zeitlicher Orientierung hervorbrachte; sie wurde möglich durch das Messen von Raum und Zeit und durch die Darstellung der Messung in Geometrie und Zahl. Für alle geschichtlichen Kulturen ist die Tatsache bekannt, daß etwa der Ort einer architektonischen Anlage durch das Setzen eines Pflockes markiert und durch Kreisteilung auf die Himmelsrichtungen orientiert wurde, die als Hauptachsen - Cardo und Decumanus - von Bauwerken, Städten und (sogar) Feldlagern in Erscheinung traten. In der Kugelgestalt der Erde und der Kreisgestalt des Horizonts hatte die Kreisteilung, als Raumgeometrie angewandt, ihre Beziehung auf kosmische Vorstellungen vom Ganzen. Durch weitere Kreisteilung wurden Maßverhältnisse für die Organisation der Baumassen abgeleitet. Die regelmäßige Kreisteilung, d. i. die Teilung des Kreises nach den Zahlen 4, 5, 6, 7, 8, 10 bringt Systeme von Rechtecken, Dreiecken, Vielecken und Sternvielecken hervor, die einzeln oder komponiert ein Koordinatensystem darstellen, das der Gestaltung von Bau- und Bildwerken zugrunde liegt. Die Kreisteilungen und die ihnen eigentümlichen Maßverhältnisse treten auf in den ebenen Projektionen der in der Kugel enthaltenen regelmäßigen Körper: des Vierflächners, Sechsflächners, Achtflächners, Zwölfflächners und Zwanzigflächners. Somit ist die aus der Kreisteilung entwickelte Flächengeometrie (und ihre spätere theoretisch-begriffliche Formulierung in der Zahl, ebenso wie die Verwendung der Zahl als Symbol) wiederum auf eine Vorstellung von Ganzheit bezogen, in der die Kugel das raumgeometrisch-praktische und begriffliche Korrelat der Kugelgestalt der Erde ist, wie sie seit dem geozentrischen System der Astronomie des Ptolemäus angenommen wird. Diese fünf sogenannten Platonischen Körper spielen in der gesamten Theorie und Praxis der Antike und des Mittelalters - stets ausgehend von kosmologischen Spekulationen und schließlich eingebaut in das philosophisch-theologische Gebäude der mittelalterlichen Scholastik - eine höchst bedeutsame Rolle. Die Proportion war in der Form der Flächengeometrie ([Abb. ¤ ], Bamberger Apokalypse), die ihrerseits in der Raumgeometrie wurzelte, das grundlegende Kompositionselement der Malerei des Mittelalters. Dem entsprach die Unterordnung der Malerei unter die Architektur, sei es als Glas- oder Wandmalerei. Diese Einordnung verwirklichte keineswegs ein System der bildenden Künste als selbständigen Bereich, sondern vielmehr eine hierarchische Ordnungsvorstellung, die das gesamte gesellschaftliche Leben und Denken umfaßte. Doch nahm die Architektur in dieser Hierarchie einen Platz ein, der sie materiell wie ideologisch zur Voraussetzung und zum Rahmen der Malerei erhob. Bauhütten und Bauhüttenbücher, wie das Skizzenbuch des Villard de Honnecourt [Abb. ¤ ] aus dem 13. Jh., waren Vermittler und Bewahrer der Proportionsregeln, nach denen gearbeitet wurde. Darüber hinaus war die Lehre von der Proportion fest im System der sieben freien Künste, besonders im Quadrivium verankert, das Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie zusammenfaßte. Dieses Erbe aus der Antike weist einerseits auf die überindividuellen, gesetzhaften Zusammenhänge hin, die als das Gemeinsame und zugleich Ganze aller Erscheinungen angenommen wurde, und zum anderen auf den formalen Charakter dieser Zusammenhänge, der eine formale und zugleich umfassende, keineswegs auf den Bereich der bildenden Künste oder der Künste überhaupt beschränkte Ästhetik begründete, wie sie nach Aristoteles vor allem bei Augustinus (354-430 n. Chr.) und Thomas von Aquin (1225-1274) wenigstens andeutungsweise ausgedrückt wird. Auch bei Dante (1265-1321) finden sich Äußerungen, die bisweilen die Form konkreter Weisungen an den Maler annehmen, der mit dem Geometer verglichen wird (Commedia, Paradiso, XXXIII). Aber erst im 15. Jh. wird die Komposition zusammen mit der Reflexion der Malerei überhaupt Gegenstand intensiver theoretischer Auseinandersetzung. Sie stellt die Praxis vergangener Malerei dar wie Cennino Cenninis Trattato della pittura um 1400 und weist der Malerei neue Wege wie Leone Battista Albertis (1404-1472) um 1435 entstandene Schrift Della pittura. Das leidenschaftlichste Interesse galt der Perspektive von Alberti, Paolo Uccello (1400-1475) und Piero della Francesca (1416-1492), der die Schrift De prospectiva pingendi verfaßte, bis hin zu Leonardo da Vincis (1452-1519) Traktat über die Malerei. Zugleich erhielt die Proportion als Körperproportion und Körpergeometrie neue Bedeutung. Die Theorie befaßte sich mit den kanonischen und anthropometrischen Punkten des Menschen (z. B. Nase, Auge, Knie usw.), wie sie schon die Antike kannte, und versuchte, im menschlichen Körper eine meßbare Gesetzlichkeit zu entdecken bzw. ihn auf eine solche zu bringen. Das Studium der Proportion des menschlichen Körpers erreichte in der ð Renaissance seinen Höhepunkt. Aus dem Jahre 1509 stammt Luca Paciolis Schrift De divina proportione. Dürer, der dem Norden das Problem der Darstellung des nackten Menschen vermittelte, hat zur Diskussion der Probleme der Proportion wesentlich auch durch seine Schriften beigetragen: »Unterweisung der Messung« (1525) und »Vier Bücher von menschlicher Proportion« (1528). Der Künstler wurde notwendig zum Naturwissenschaftler und arbeitete mit ihm zusammen: so Leonardo da Vinci mit Marcantonio della Torre, Michelangelo (1475-1564) mit Realdo Colombo, Tizian (1476-1576) mit Andrea Vesalius. Mit der Flächenproportion, der Perspektive und schließlich der Körperproportion waren die Kompositionsmittel der abendländischen Malerei grundgelegt. Die Entwicklung der Malerei seit dem 16. Jh. stellt, im Hinblick auf die Komposition, einen Modifizierungsprozeß dar, der keine fundamentalen Neuerungen der Komposition brachte, wohl aber mannigfaltige Abwandlungen und Anwendungen, die aber Gegenstand einer Stilgeschichte der abendländischen Malerei sein dürften. Werkstätten und vor allem Akademien führen die Tradition der Bauhütten als Bewahrer und Vermittler auch der Kompositionslehre fort. Erst das zwanzigste Jahrhundert bringt zwei Phänomene hervor, die die seit Jahrhunderten festgelegten und tradierten Bedingungen von Komposition in der Malerei zu durchbrechen trachten: die sogenannte shaped canvas (gestaltete Leinwand) der neueren amerikanischen Malerei (Frank Stella) und das »Environment«. Während im rechteckigen oder auch runden Tafelbild die äußere Form, das ist die geregelte und festgesetzte Umgrenzung einer Fläche durch die Linie, die innere Struktur bestimmt, bestimmt in der shaped canvas die innere Struktur die äußere Form, wobei man nach regulärer und irregulärer Form unterscheidet. Die reguläre Form einer shaped canvas kann dabei äußerlich mit der Form des Tafelbildes übereinstimmen und äußerlich damit verwechselt werden, ein irreguläres shaped canvas weicht dagegen in der unterschiedlichsten Weise von jeder genormten Formvorstellung des Tafelbildes ab. Hebt die shaped canvas die Verbindlichkeit einer vorgegebenen Begrenzung einer Fläche durch die Linie auf, so das Environment die Fläche als Bedingung der Malerei. Konsequent werden die räumlichen Beziehungen nicht mehr auf der Fläche durch die Anwendung der Perspektive simuliert, sondern durch den Raum als Kompositionsmittel realisiert.